Suizidhilfe für psychisch Kranke: Ein Urteil mit Folgen

Ja, die Verurteilung eines Arztes wird Auswirkungen haben. Doch psychisch Kranke sind durch das Urteil nicht pauschal von Suizidhilfe ausgeschlossen.

Ein Mann steht vor dem Gerichtssaal 500 des Kriminalgerichts Moabit.

Der Arzt Christoph Turowski soll einer an einer schweren Depression erkrankten Frau Medikamente zur Selbsttötung überlassen haben Foto: Jörg Carstensen/dpa

Es war eine Gratwanderung. Wer die Verhandlungstage verfolgte, konnte ahnen, wie ungeklärt die rechtlichen Umstände für die Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland sind. Am Ende aber erscheint es vertretbar, dass der Berliner Arzt Christoph Turowski, 74, schuldig gesprochen wurde wegen des Totschlags in mittelbarer Täterschaft. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er der 37-jährigen Studentin Isabell R. auf deren Wunsch hin eine tödliche Infusion legte, deren Hahn sie dann aufdrehte.

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Dies gibt der Pressekodex vor: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Dadurch soll auch verhindert werden, dass es Nachahmer gibt. Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle der Zeitgeschichte oder von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt. Deshalb haben wir uns entschieden, über diesen Fall zu berichten.

Sollten Sie Suizidgedanken haben, so wenden Sie sich bitte an professionelle Helferinnen und Helfer. Diese finden Sie jederzeit beider Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder auch unter www.telefonseelsorge.de.

Bei Isabell R. erkannte das Kriminalgericht Berlin keine ausreichende „Dauerhaftigkeit“ und „innere Festigkeit“ ihres Suizidwunschs. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe von 2020 bestimmt, dass der oder die Sterbewillige „freiverantwortlich“ handeln muss und der Entschluss zum Suizid von einer „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ getragen sein müsse, damit die ärztliche Suizidhilfe straffrei bleibt. Die junge Frau hatte zwar in vielen Nachrichten an den Arzt ihren Suizidwunsch bekräftigt und um Hilfe gebeten.

Aber wenige Tage vor ihrem Tod und auch noch am Tag ihres Suizids hatte sie Nachrichten geschickt, in denen sie zwischenzeitlich von ihrem Suizidwunsch abrückte. Dies vor allem galt dem Gericht als Beweis, dass die Frau durch ihre depressive Erkrankung und ihre Stimmungsschwankungen zu stark eingeschränkt war, um als „freiverantwortlich“ zu gelten.

Das Urteil wird Auswirkungen auf die Suizidhilfe haben, weil es künftig kaum Ärz­t:in­nen geben wird, die bei psychisch Kranken bereit sind zur Suizidhilfe. Das ist bedauerlich. Trotzdem kann man nicht pauschal anhand des Urteils behaupten, dass psychisch Kranke dadurch diskriminiert und nun grundsätzlich von Suizidhilfe ausgeschlossen wären.

In diesem speziellen Fall kündigte der vom Gericht vorgelesene Austausch von vielen Mails und Whatsapp-Nachrichten tatsächlich von einer Labilität, die die ärztliche Hilfe zur Selbsttötung im Nachhinein als unverantwortlich erscheinen lässt. Der Fall geht nun vor den Bundesgerichtshof, gut möglich, dass dieser Sicherungskonzepte anmahnt. Zumindest eine Begutachtungspflicht nach dem Vieraugenprinzip wäre angebracht.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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