Vorwürfe gegen Österreichs EU-Kandidatin: Pfui-Bäh-Pups-Rhetorik

Österreichs EU-Spitzenkandidatin für die Grünen, Lena Schilling, werden Lügen vorgeworfen. Die Reaktion ihrer Partei erinnert an Demokratiefeinde.

Lena Schilling, Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, und Österreichs Grünen-Chef Werner Kogler beim Wahlkampf

Lena Schilling, Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, und Österreichs Grünen-Chef Werner Kogler beim Wahlkampf Foto: Georg Hochmuth/apa/picture alliance

taz | Es ist noch nicht gewählt worden, trotzdem ist Krise bei den Grünen in Österreich. Mit der 23-jährigen Klimaaktivistin Lena Schilling haben sie als einzige Partei des Landes eine Frau als Spitzenkandidatin für die nahenden EU-Wahlen nominiert – und ausgerechnet gegen die machte die linksliberale Tageszeitung Standard am 7. Mai nun Vorwürfe publik. Anonyme Personen aus der Klima­bewegung und dem Grünen Klub werfen Schilling vor, falsche Gerüchte verbreitet und damit „viele Menschen verärgert oder verletzt und einige sogar in existenzbedrohende Schwierigkeiten gebracht“ zu haben.

Unter anderem geht es um mutmaßlich falsche Vorwürfe sexueller Belästigung gegenüber einem Journalisten und einem grünen Klubmitglied und eine gerichtliche Unterlassungserklärung, in der sich Schilling dazu verpflichtet, nicht mehr die falsche Behauptung zu verbreiten, dass der Ehemann einer ihrer einst besten Freundinnen häusliche Gewalt verübe.

Die Pressekonferenz, in der Schilling, Grünenchef Werner Kogler und andere prominente Parteimitglieder am vergangenen Mittwoch auf die Vorwürfe reagierten, erntet nun fast ebenso viel Kritik wie Schilling selbst. Kogler tat die Standard-Recherchen darin als „anonymes Gemurkse und Gefurze“ ab und bediente sich läppischer Rhetorik, die man sonst von Pressekonferenzen der rechtsextremen FPÖ gewohnt sei – ist es doch üblicherweise deren Stil, kritische Medienberichte als „Schmutz­kübel­kampagnen“ abzutun und sie zu nutzen, um sich als Opfer einer gegen sie verschworenen Parteienlandschaft zu inszenieren. Kogler behauptete: „Wir sehen’s ja, ob Deutschland, Bayern speziell, oder hier in Österreich, es wird vor allem gegen die Grünen agitiert.“

Wenn nun auch in Österreich gegen die Grünen agitiert werden sollte, dann wohl innerhalb der eigenen Reihen. Denn von den 50 Personen aus dem Umfeld Schillings, die mit dem Standard gesprochen haben, sind immerhin auch Personen aus dem Grünen Klub. Parteiinterne Bestrebungen, den Wahlkampf zu sabotieren, sind eher unwahrscheinlich. Doch stützt der Standard seinen Bericht ohnehin nicht auf Plausibilitäten, sondern auf eidesstattliche Versicherungen einzelner Personen, Akten und Chats – so, wie es sich gehört für eine Recherche, die journalistische Qualitätsstandards erfüllt.

Strengere Maßstäbe bei Frauen

Indem Kogler die Glaubwürdigkeit gut recherchierter Berichte aus taktischen Gründen in Abrede stellt, bedient er einen postfaktischen Diskurs, der suggeriert, dass Fakten Glaubenssache sind. Würdig ist dieser Auftritt einer Partei, die sich auch in der EU als Teil einer Front gegen demokratiefeindliche Parteien begreift, nicht. Denn in Zeiten alternativer Medienkanäle und Fake News müssten sie als solche auch für sie ungünstige Fakten erst einmal zur Kenntnis nehmen.

Ob die Vorwürfe nun ein Disqualifikationsmerkmal für Schilling darstellen, ist eine andere Frage. In der Pressekonferenz verwies Kogler darauf, dass Frauen in der Öffentlichkeit an strengeren Maßstäben als Männer gemessen werden. Klar, in das Stereotyp der manipulativen und missgünstigen Karrierefrau lassen sich die Vorwürfe natürlich bestens einspeisen. Dennoch ist dieser Punkt nicht relevant für die Frage, ob die Recherchen des Standard nun glaubwürdig sind oder nicht, sondern nur dafür, wie anhand von ihnen über Schilling geurteilt wird.

Aktuell sieht es für die Grünen bei den EU-Wahlen düster aus. Auf den ersten Platz kommt in Österreich laut einer Umfrage mit 26 Prozent die rechtsextreme FPÖ, die Grünen würden aktuell 14 Prozent wählen. Die aktuelle Causa und ihr mediales Nachspiel dürften dazu zwar nicht allzu viel beigetragen haben, dennoch verweist sie auf einen wichtigen Punkt in der Frage, was es bedeutet, sich als Partei gegen Rechtsextreme zu positionieren. Nicht nur proklamierte Werte gehören dazu, sondern auch eine politische Praxis, die sich stets an der eigenen demokratiepolitischen Verpflichtung ausrichtet. Koglers Pfui-Bäh-Pups-Politik tut das nicht.

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